Eine Bösewichtin gendert

Eine Bösewichtin gendert

Frauen und Männer sind in Pflegeheimen, Krankenhäusern, Supermärkten, Lagerhallen, Werkstätten, Schulen, Büros … zu finden. Frauen und Männer arbeiten kollegial zusammen. Familienfreundlichkeit wird großgeschrieben und ist nicht gleichbedeutend mit “Frauenfreundlichkeit”. Es ist selbstverständlich, dass sowohl Mütter als auch Väter sich für die Pflege Kinder freinehmen oder in Teilzeit arbeiten, um Betreuungspflichten nachzukommen. Diese Rechte für beide existieren nicht nur auf Papier, sie werden aktiv gelebt. Das Geschlecht spielt keine Rolle. Das wäre meine ideale Welt ...


Gedanken zur „gendergerechten Sprache“

Mit diesem Artikel nehme ich an der "Blogparade zur Gendergerechtigkeit" von Nicole Isemann teil.

Inhaltsverzeichnis


Duden vertritt ein gendergerechte Sprache

Seit Feber 2021 hat Duden nicht nur um die Wörter Lockdown und Bösewichtin zugenommen. Er vertritt eine gendergerechte Sprache. So weit - so fantastisch! Laut Duden ist somit ein Mieter ‘eine männliche Person, die etwas gemietet hat’. Wow! Mein erster Gedanke war: Warum wird alles immer komplizierter? Mein zweiter - weitaus tragender - Gedanke ist: Ist DAS wirklich gendergerecht?

Unter gendergerecht verstehe ich alle Geschlechter (weiblich, männlich, divers) gleichermaßen miteinzubeziehen. Gendern mit dem berühmten “*” soll das können. Also aus Mieter wird Mieter*in. Abgesehen von der Leserlichkeit ist das explizite Ausweisen aller Geschlechter und die permanente Betonung dessen tatsächlich gendergerecht? Nein, das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Warum zur Hölle sind wir so versessen auf Genitalien?


Ach, ich vergaß zu erwähnen, dass ...

Ich bin Trainerin, Autorin, Unternehmerin, Schreiberin, Leserin, Spaziergeherin, Köchin, Kräutersammlerin, Hundebesitzerin, Autofahrerin, Langschläferin, Morgenmuffel (upps, da hat Duden was vergessen😉). In vielen Bereichen möchte ich allerdings einfach nur Mensch sein und nicht ständig darin erinnert werden, dass ich eine Frau bin. In meiner Welt ist es schlichtweg egal, ob ein Mann oder eine Frau trainiert, schreibt, kocht, Auto fährt, etc. Das sehe ich als Gleichberechtigung. Doch in jedem Winkel lauern sie, das Binnen-I oder das Gendersternchen, und mahnen mich: Rosa, du bist kein Autofahrer, sondern eine Autofahrerin. 

Es gibt einen Unterschied zwischen sichtbar sein oder mit neongelbem Anzug und Blinklicht durch die Gegend zu laufen. Bei manchen konsequent durchgegenderten Texten habe ich das Gefühl, hier geht es mehr um Vaginas und Penisse als um den Inhalt. Also nochmals: Warum sind wir so versessen darauf, das biologische Geschlecht zu betonen? Ich verstehe das Raunen und Murren, ja auch den aggressiven Wind gegen das Gendern. Nein, auch mir ist es nicht egal, ob eine Stellenausschreibung gegendert ist oder nicht. Es ist mir aber vollkommen egal, ob das Angebot eines Kräuterpädagogen, Seminarunterlagen, Postings oder die Gebrauchsanleitung meiner Mikrowelle gegendert sind. Und wenn ich den Text vor lauter “*” dreimal lesen muss, damit ich den Inhalt verstehe, sorry, das macht auch mich aggressiv.


Sprache schafft Realität oder ist es vielleicht auch andersrum?

Der Duden sagt dem generischen Maskulinum den Kampf an. Als Frau fühle ich mich bei dessen Verwendung entgegen vieler Unkenrufe nicht ausgeschlossen. Ich nehme mir die Selbstverständlichkeit heraus, auch als Frau dabei zu sein und ich habe mir tatsächlich niemals die Frage gestellt (jedenfalls nicht bevor Binnen-I und Genderstern um die Ecke schlichen): Bin ich auch mitgemeint? Das ist meine Realität. Duden widerspricht mir, und du vielleicht auch.

Früher hatte jeder bei dem Begriff “Fernseher” ein fettes Röhrengerät vor Augen, heute ist es ein Flat Screen. Verzeih mir dieses banale Beispiel, doch gemischte Teams sind heute in vielen Bereichen - Gott sei Dank - selbstverständlich! Genauso selbstverständlich, wie viele meiner Kunden sowohl Männer als auch Frauen ansprechen, ohne Gendern (zu wollen). Es liegt ihnen fern, Frauen auszuschließen; und mir auch.


Es ist nicht immer so wie es scheint

Ich möchte dir eine kleine Anekdote erzählen. Vor einigen Jahren hatte ich das Bedürfnis, mehr Sport zu machen. Doch was? Der Kurs “Fitnessboxing” sprach mich an. Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Koordination - all das wird beim Fitnessboxing trainiert. Genau richtig für mich! Die ersten Kursstarts ließ ich sausen. In meiner Vorstellung fand der Kurs in einer ‘Testosterongesteuerten Fitnessbude’ statt. Natürlich lauter Männer. Welche Frau interessiert sich schon für Boxen? Was soll ich da? Dachte ich ... Irgendwann hatte ich den Mut dazu, meldete mich an und stand in dieser vermeintlichen 'Fitnessbude'. Von 'testosterongesteuert' keine Spur. Und rate mal, wie hoch der Frauenanteil war? … 100 Prozent! Ja, du hast richtig gelesen, wir waren nur Frauen. In diesem Sinne: Es nicht immer alles so, wie wir es annehmen und glauben.

Hätte ich meinen Blogartikel mit meinen Bedenken zu Genderstern und Binnen-I begonnen, weiß ich, dass ich sofort den Stempel “antifeministisch” bekomme. Ich weiß auch, dass mir die Frage gestellt wird: Wie kannst du als Frau nur gegen das Gendern sein? Ich weiß auch, dass meine Texte nicht konsequent gegendert sind, was sogleich manche Sprachpolizist*in auf den Plan ruft. Beim Schreiben lehne ich grundsätzlich ein starres Regelwerk ab. Ehrlich gesagt, möchte ich weiterhin meine Freude am Schreiben haben und nicht jedes Wort auf die goldene (Gender-)Waage legen.


Falsch, ich kenne Diskriminierung

Vielleicht denkst du jetzt, ich hätte niemals Diskriminierung erfahren. Falsch! Ich wuchs in einem sehr konservativ geprägten Umfeld auf. “Was möchtest du werden?”, fragte man mich, “Friseurin, Verkäuferin oder Sekretärin?” Mädchen kraxeln nicht auf Bäume, müssen Röcke tragen, dürfen dies nicht und das nicht … Ach Gott, die Liste der Ver- und Gebote war irrsinnig lang. Mädchen waren anders, man musste auf sie aufpassen. Gerade diese strenge Kategorisierung Mädchen, Bub, war der Nährboden für Diskriminierungen. Gendersternchen und Binnen-I machen genau das - sie kategorisieren. Vielleicht - nein, ganz bestimmt - kann ich mich deswegen damit nicht anfreunden. Und ich frage mich wieder: Warum diese Differenzierungen?


Wo bleiben die geschlechtsneutralen Bezeichnungen?

Wenn wir schon die Sprache neu erfinden, warum verwenden bzw. kreieren wir keine geschlechtsneutralen Begriffe, anstatt ständig das Geschlecht zu betonen? Ja, es gibt sie schon und manchen Fällen lassen sie sich auch einfach anwenden. Beispiele dafür: Krankenhauspersonal statt Krankenpfleger oder Krankenschwester, Putzhilfe statt Putzfrau oder Studierende statt Studenten. Aber Kundschaft für Kundinnen und Kunden? Ganz ehrlich, der Begriff Kundschaft versetzt mich in die Zeit der Hans-Moser-Filme zurück, wo der Handkuss noch obligatorisch war. Oder ich denke an einen spähenden Reiter, der die Gegend auskundschaftet. Diese Zeiten will ich als Frau niemals zurück! Es fehlen also zeitgemäße geschlechtsneutrale Begriffe. Warum allerdings die Bestrebungen hin zu deutlichen Geschlechtsdifferenzierungen gehen, statt geschlechtsneutrale Begriffe zu finden, das entzieht sich meiner Kenntnis und macht mich traurig.


Ich träume von einer anderen Lösung

Wäre es nicht sinnvoller, eine neutrale Bezeichnung zu haben? Diese ist grundsätzlich ein Neutrum, zB. das Autor. Spreche ich von Autoren, so beziehe ich mich auf eine Gruppe von Menschen, die weiblichen, männlichen oder diversen Geschlechtes sein können. Es ist nicht relevant, wie viele Männer, Frauen oder Menschen, die sich einfach nicht einem biologischen Geschlecht zuordnen können oder es nicht möchten, sich in der Gruppe befinden. Gemeint sind schlichtweg alle und niemand wird dabei ausgegrenzt. Möchte ich dennoch unterscheiden, aus welchen Gründen auch immer, so bekommen männliche Autoren ein ‘-ich’ und weibliche ein ‘-in’ angehängt. Autoriche wären dann eine Gruppe von männlichen Autoren, Autorinnen eine Gruppe von weiblichen. In meiner Welt wäre dies ein Meilenstein zur Geschlechtergerechtigkeit in unserer deutschen Sprache. 


Eine Bösewichtin gendert

Und bis dahin? Ich liebe es zu schreiben. Gendern? Das passiert halbherzig. Einerseits finde ich die aktuelle Lösung mit dem Gendersternchen schreiberisch nicht praktikabel. Anderseits sehe ich sie als geschlechtsbetonend und keineswegs geschlechtsneutral oder gendergerecht.

Ich möchte in einer Welt leben, in der Frauen und Männer in Pflegeheimen, Krankenhäusern, Supermärkten, Lagerhallen, Werkstätten, Schulen, Büros … zu finden sind. Sie arbeiten kollegial zusammen. Das Geschlecht spielt dabei keine Rolle - auch nicht in der Sprache.

Aktuell habe ich keine Lösung für eine gendergerechte Sprache. Sind Gendersternchen und Binnen-I aus deiner Sicht tatsächlich gendergerecht? Genderst du konsequent oder wie sind deine Erfahrungen? Hinterlasse mir gerne ein Kommentar.

Rosa Pessl
Rosa Pessl
Schreiben ist eine wertvolle Ressource und Schlüssel zur Kreativität. Als Schreibtrainerin gebe ich Workshop für kreative Schreiben und Schreiben als Selbstreflexion.

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5 Kommentare

Gabi
Gabi
Liebe Rosa, kennst du den Ansatz für neutrale Bezeichnungen nach Phettberg? Darüber bin ich selber während der Recherchen zu meinem Gender-Blogbeitrag gestolpert. Ich wäre dann dein "Lesy" und du würdest dich mit "Kollegys" verabreden ... Erstaunlich fand ich, wie emotional in meinem Texterinnen-Netzwerk über diese Idee diskutiert wurde. Tja, das Ganze ist eben ein Aufreger-Thema und ich denke, damit sind wir noch lange nicht durch. Bis dahin versuche ich mein Bestes, gehe mit Kreativität an die Sache und nehme es aber im Zweifel auch nicht so genau.
Liebe Grüße von Gabi
Nicole
Nicole
Ja da hast du Recht - aber das ist immerhin schon vertrauter :) Wir werden sehen...
Isolde Zeilinger
Isolde Zeilinger
Ich bin ebenfalls der Meinung, dass unserer Sprache geschlechtsneutrale Worte fehlen. Es ist nicht zeitgerecht und -zumindest von mir- nicht erwünscht, dass bei jedem Wort, das auf mich zutrifft automatisch dazugesagt wird, welche Toilette ich aufzusuchen habe. Vielleicht sind wir von einer Gedankenschublade in die nächste gehüpft? Schade, denn der Grundgedanke hinter all der Genderei ist doch ein schöner :-)
Nicole
Nicole
Liebe Rosa, eine neutrale Bezeichnung für alle Geschlechter wäre in drr Tat wunderbar. Allerdings tue ich mich mit deinem Beispiel " das Autor" spontan echt schwer... Gelernte ist eben fest verankert im Hirn. Aber wer weiß, vielleicht ist das am praktikabelsten von allen bisherigen Lösungen umsetzbar? Ich lasse mich überraschen. Lieben Dank, dass du mit deinen Ausführungen an meiner #blogparadegendergerechtigkeit teilgenommen hast! Viele Grüße, Nicole
Rosa
Rosa
Danke Nicole. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass meine Idee zunächst einmal ein Schock für alle Germanisten ist :). Ja, und es ist sicher gewöhnungsbedürftig. Aber sind Binnen-I und jetzt das Gendersternchen nicht auch gewöhnungsbedürftig?

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